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Unfaire Anhörung von Assange in London

Reporter ohne Grenzen ist in höchstem Maße beunruhigt, dass die USA in London in der ersten Woche der Anhörung über die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange erneut keine Beweise für die ihm vorgeworfenen Straftaten vorgelegt haben.

Die Organisation hat die Anhörung bisher im Woolwich Crown Court beobachtet und war zeitweise mit drei Vertreterinnen und Vertretern in London anwesend. An der Mission nahmen RSF-Generalsekretär Christophe Deloire, der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Deutschland Christian Mihr und die Leiterin des UK-Büros Rebecca Vincent teil. Zudem demonstrierten Vertreterinnen und Vertreter von Reporter ohne Grenzen am Tag vor Anhörungsbeginn vor dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, in dem Julian Assange unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen inhaftiert ist.


Die Anhörung fand vom 24. bis 27. Februar statt; den Vorsitz hatte die Richterin Vanessa Baraitser. Der Anwalt James Lewis vertrat als Prozessbevollmächtigter die USA, Assange wurde von den Anwälten Edward Fitzgerald und Mark Summers vertreten. Repräsentanten der US-Regierung waren ebenfalls anwesend, ergriffen aber nicht das Wort. Assange selbst saß getrennt von seinen Anwälten in einem Glaskasten. Der Versuch, sich persönlich Gehör zu verschaffen, wurde von der Richterin mit dem Argument unterbrochen, er sei „bestens“ durch seine Anwälte vertreten. Diese sollten für ihn sprechen.
Die Vorwürfe der USA gegen Assange stützen sich auf 17 Anklagepunkte aus dem sogenannten Espionage Act (Gesetz gegen Spionage von 1917). Ein weiterer betrifft das Gesetz gegen Computerbetrug und –missbrauch. In den Jahren 2010 und 2011 hatte die Plattform hunderttausende militärische und diplomatische Papiere der USA veröffentlicht und so dramatische Missstände und Fehlverhalten im US Militär aufgedeckt. Die Strafe für all diese Vorwürfe könnte sich auf bis zu 175 Jahre Haft summieren. Die geleakten Papiere hatten eine umfangreiche Medienberichterstattung über Themen von großem öffentlichem Interesse ermöglicht, darunter Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo, und die Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan.
Keine Belege für die Gefährdung von Menschenleben
Im Zuge der Anhörung wurde mehrfach deutlich, dass die USA keine Beweise dafür haben, dass Julian Assange seine Quellen „ernsthaft und unmittelbar“ gefährdet hätte. Ihre Anklage führen sie aber basierend auf den von Assange angeblich wissentlich verursachten Risiken dahingehend weiter. An einem Punkt der Anhörung behaupteten die US-Vertreter, dass die Veröffentlichung der brisanten Papiere zum Verschwinden einiger Quellen geführt habe, präsentierten allerdings auch dafür keine Belege. Die Anwälte argumentierten, Assange habe die Verteidigung und die Geheimdienste der USA sowie deren Interessen im Ausland gefährdet.
Assanges Anwälte bezeichneten die US-Vorwürfe wiederum als Verfahrensmissbrauch, da diese ausschließlich auf politischen Motiven basierten. Fakten würden grundlegend falsch dargestellt. Sie erläuterten, dass Wikileaks monatelang mit mehreren großen Medien zusammengearbeitet habe, um die Dokumente zunächst redaktionell zu bearbeiten und nur redaktionell bearbeitet zu veröffentlichen: Das bestätigend brachten Assanges Anwälte schriftliche Zeugenaussagen unter anderem vom damaligen „Der Spiegel“-Redakteur John Goetz, dem „Freitag“-Herausgeber Jakob Augstein und dem deutschen Informatik-Professor Christian Grothoff in das Verfahren ein. Erst einer der Medienpartner habe im Zuge der Aufarbeitung ein Buch veröffentlicht, das das Passwort zu dem unredigierten Datensatz enthielt, erklärten Assanges Anwälte. Nur das habe letztendlich dazu geführt, dass Dritte Zugang erhielten und die unbearbeiteten Dokumente im Ganzen veröffentlichen konnten. Assanges Prozessbevollmächtigte erläuterten, wie er versucht habe, jedes Risiko für die Quellen zu minimieren, indem er das Weiße Haus und das Außenministerium darüber informierte, dass eine Veröffentlichung außerhalb der Kontrolle von Wikileaks möglicherweise bevorstehe und dass er sie angefleht habe, Maßnahmen zum Schutz der genannten Personen zu ergreifen.
RSF-Petition gegen Auslieferung Assanges an die USA
„Wir können an der Anklage und Beweisführung der USA erkennen, dass es hier allein um das Mundtotmachen eines kritischen Geistes geht“, sagt Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich. „Wir fordern die Regierung Großbritanniens dazu auf, Julian Assange nicht an die USA auszuliefern. Seine Auslieferung wäre ein Kniefall Europas vor den amerikanischen Behörden und eine Zäsur für die hiesige Pressefreiheit.“ RSF hat weltweit eine Petition für Julian Assange gestartet, die insgesamt schon über 56.000 Menschen unterzeichnet haben.
Die Anwälte Assanges wiesen darauf hin, dass der bestehende Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien die Auslieferung aufgrund politischer Delikte ausdrücklich verbiete. Vor diesem Hintergrund argumentierten sie, dass der australische Staatsbürger Assange auch durch innerstaatliches britisches Recht geschützt sei. Der Rechtsschutz vor politischer Verfolgung sei ein Eckpfeiler der britischen Gesetzgebung und sei in der Magna Carta verankert. Überdies, so Assanges Prozessbevollmächtigte, sei der Assange zustehende Schutz vor politischer Verfolgung auch durch internationale Verträge geregelt wie das Europäische Auslieferungsübereinkommen, sowie die Interpol-Konvention über Auslieferung sowie einen entsprechenden Vertrag der Vereinten Nationen.
Demgegenüber argumentierten die USA, dass das Auslieferungsgesetz von 2003 keine Auslieferung aufgrund politischer Vergehen ausschließe. Zudem könnten Assanges Handlungen nach englischem Recht nicht als politisch interpretiert werden. Da der Auslieferungsvertrag zudem nicht vom Parlament ratifiziert worden sei, könnten daraus keine Rechte abgeleitet werden. Allerdings räumte der US-Prozessbevollmächtigte Lewis an anderer Stelle ein, dass es andere Staaten durchaus überraschen könnte, wenn sie wüssten, dass Verträge bei ihrer Unterzeichnung durch die britische Regierung nur sehr wenig bedeuteten; die parlamentarische Souveränität bedeute, dass Rechte nur im innerstaatlichen Kontext durchsetzbar seien, wenn sie vom Parlament ratifiziert würden.
Große Sorgen um Assanges Gesundheit
Reporter ohne Grenzen ist weiterhin sehr besorgt um die Gesundheit von Julian Assange. Während der gesamten Anhörung wirkte er blass und müde. Mehrmals beklagte er sich, dass er der Anhörung nicht gut folgen und aus dem Glaskasten heraus nicht mit seinen Anwälten kommunizieren könnte. Am zweiten Tag der Anhörung sagte einer seiner Anwälte, Assange sei am Vortag im Gefängnis misshandelt worden. Er wurde demnach zweimal einer Leibesvisitation unterzogen, elf Mal mit Handschellen gefesselt, fünf Mal in andere Zellen verlegt - ihm zustehende Prozessunterlagen seien beim Betreten und Verlassen des Gefängnisses beschlagnahmt worden. Die Richterin erklärte, dass eine solche Beschwerde nicht in ihre Zuständigkeit falle. Am vierten Tag lehnte sie seinen Antrag ab, bei der Fortsetzung der Anhörung im Mai mit seinen Anwälten im Gerichtssaal sitzen zu dürfen, obwohl sogar die US-Prozessbevollmächtigten keine Einwände dagegen hatten.
Beweisaufnahme voraussichtlich im Mai
In den kommenden Wochen wird es nun zwei weitere kurze Anhörungen geben, bei denen es jeweils um verfahrensrechtliche Fragen geht: eine verpflichtende Anhörung am 25. März vor dem Westminster Magistrates' Court, an der Assange per Video teilnehmen wird, und eine Anhörung vor dem Woolwich Crown Court am 7. April, bei der unter anderem die Frage der Anonymität von zwei Zeugen erörtert wird. Assange wird an letzterer persönlich teilnehmen müssen. Es wird erwartet, dass die Beweise ab dem 18. Mai drei Wochen lang im Woolwich Crown Court angehört werden. Auch die deutschen Journalisten John Goetz (damals Spiegel) und Freitag-Herausgeber Jakob Augstein sowie der US-Botschafter in Deutschland Richard Grenell könnten dann vermutlich mündlich aussagen. Reporter ohne Grenzen wird die Anhörungen weiter vor Ort beobachten.

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