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Kritk von Walter Baier (transform-europ. netzwerk) am Regierungsprogramm

Regierungsprogramm: Kapitel „EU – Europa – Außenpolitik“

Allgemeine Vorbemerkung

Dass die ÖVP die Fortsetzung der unter Türkisch-Blau eingeschlagene antiliberale Richtung in der Migrations- und Menschenrechtspolitik im Koalitionspakt festschreiben konnte, wurde und wird ausgiebig kommentiert.
Wahrgenommen – zumindest in einer kritischen Öffentlichkeit – wird auch, dass keine der von der Regierung Kurz I durchgesetzten neoliberalen sozial- und arbeitsrechtlichen Verschlechterungen zurückgenommen werden wird. Die Bereiche Sozial- und Wirtschaftspolitik tragen überdies eine eindeutig neoliberale Handschrift.

Was bedeutet das gesellschaftspolitisch?
Bei der Präsentation des Regierungsprogramms am 2.Jänner erklärte Werner Kogler:
„Nun müsse man an der ‚großen Versöhnung von Ökonomie und Ökologie‘ arbeiten:“ (https://www.meinbezirk.at/wien/c-politik/oevp-und-gruene-praesentieren-regierungsprogramm_a3843384)
Ökonomie im Regierungsprogramm ist synonym mit neoliberaler Kapitalismus. Die im Regierungsprogramm gelisteten Maßnahmen ergeben einen Faden – bis in die kleinsten Details:
Senkung der Steuer und Abgabenquote, Senkung des Körperschaftssteuersatzes, Förderung der Investitionen von Privatbahnen, Liberalisierung des Bahnverkehrs, Entrepreneurship Education, Erarbeitung eines Konzepts, um unternehmerisches Denken im Bildungssystem zu verankern, Förderung des Wohnungseigentums… etc, etc…
Gesellschaftspolitisch handelt es sich um ein neoliberales Programm, dessen Kern die Senkung der Steuer- und Staatsquote ist. Die als notwendig erkannte Ökologisierung soll mit neoliberalen Instrumenten (ETS, Preisanreize, Marktmechanismen) stattfinden. Um die Akzeptanz der Begrünung“ bei Kapital und Industrie zu erhöhen, wird sie mit diversen Steuergeschenken vergoldet.
Sicherlich sind die Grünen keine „Klassenpartei“, die ÖVP ist aber eine. Das verleiht ihren Vorstellungen die Kohärenz, der die Grünen nichts entgegenzusetzen haben.

Das Kapitel „Österreich in Europa und der Welt“

Werner Kogler betonte bei der Präsentation des Regierungsprogramms vor dem Nationalrat „vor allem auch den proeuropäischen Charakter der neuen Bundesregierung:“ (https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200110_OTS0084/bundeskanzler-kurz-und-vizekanzler-kogler-praesentieren-schwerpunkte-des-regierungsprogramms )
Tatsächlich aber offenbart das Regierungsabkommen einen erschreckenden Provinzialismus, indem Europa durchgehend mit der Europäischen Union gleichgesetzt wird. OSZE (deren Sitz sich immerhin in Wien befindet) oder der Europarat, dessen Mitglied Österreich seit 1956 ist, finden nur eine beiläufige Erwähnung, ohne dass irgendeine Zielsetzung österreichischer Politik in ihnen genannt würde.
Allein dies entwertet das allgemeine Bekenntnis zur Neutralität zur belanglosen Floskel. Darüber hinaus lässt diese eingeschränkte Sicht auf Europa das Regierungsprogramm am friedenspolitischen Hauptthema, nukleare Abrüstung vorbeigehen.

Werner Koglers Ansage trifft also nur in dem eingeschränkten Sinn zu, dass man unter „pro-europäisch“ den in der Van der Leyen-Kommission verkörperten Mainstream der EU versteht.
Auch hier markiert die ÖVP die gesellschaftspolitisch entscheidenden strategischen Punkte:

+ Es braucht eine klare Haltung der EU-Kommission gegenüber Budgetsündern.
Der Punkt ist deshalb bemerkenswert, weil die Grünen 2011 im Parlament gegen den „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ (Schuldenbremse) gestimmt haben und ihre Zustimmung auch im September 2019 zu einer Verankerung der Schuldenbremse in Verfassungsänderung verweigert hatten.
Im Kapitel auffindbare grüne Anliegen, deren Verwirklichung allerdings nichts kostet bzw. nicht in der Macht einer österreichischen Bundesregierung liegen. sind:
+ Konsequentes Eintreten für die ausreichende Finanzierung von Maßnahmen gegen die Klimakrise im EU-Budgetrahmen bis 2027
+ Einsatz für ein wirkungsvolles ETS-System und einen CO2 -Mindestpreis auf europäischer Ebene (Auf die von NGOs – zu Recht – formulierte Kritik am ETS-System kann hier nicht eingegangen werden.)
+ Die auf Initiative von Europäischem Rat und Europaparlament für zwei Jahre anberaumte „Konferenz zur Zukunft Europas“ (Wie erwähnt handelt es sich um die Zukunft der EU)
+ Einen neuen Vertrag für Europa – Bemerkenswert ist, dass auch hier die ÖVP den gesellschaftspolitischen Grundton vorgibt, in dem als einziges explizit genanntes Prinzip die „Subsidiarität“ genannten wird. Alle im Unterabschnitt „Institutionen“ genannten Ziele entsprechen dem neoliberalen Deregulierungskanon. Kein Wort über Demokratie, Soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

Positiva:
+ Bekenntnis zu den 17 Nachhaltigen Entwicklungszielen
+ Ablehnung des MERCOSUR-Handelsabkommens „in der derzeitigen Form“ (sic!)
+ Eine klare Beitrittsperspektive für die Staaten des Westbalkans
+ Ziel ist es, hochspekulative Finanzprodukte, vor allem sogenannte Derivate und „high-frequency trading“-Aktivitäten, stärker zu besteuern. Der momentane Vorschlag der FTT-Gruppe wird diesem Anspruch aber nicht gerecht, sondern benachteiligt heimische Unternehmen am internationalen Kapitalmarkt. Österreich wird sich auf EU-Ebene für die Umsetzung einer zielgerechten FTT einsetzen. (Allerdings hängt die Verwirklichung nicht von der österreichischen Regierung ab.)
+ Fortsetzung der Bemühungen zur Einführung einer Digitalsteuer für internationale Großkonzerne auf internationaler oder europäischer Ebene im Sinne der Steuergerechtigkeit.
+ Einsatz auf europäischer Ebene für den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK (im Justizkapitel enthalten)

Neutralität
Auf dem Gebiet der Neutralitätspolitik bewegt sich das Programm im Rahmen der inzwischen zur österreichischen Staatsräson gewordenen Doppelbödigkeit, die allerdings von der SPÖ eingeführt wurde. Neu ist, dass sich die Grünen diese nun voll angeeignet haben.
Einerseits positive Bekenntnisse:
+ Klares Bekenntnis zur österreichischen Neutralität
+ Stärkung der Rolle Österreichs als Vermittler in internationalen Konflikten
+ Österreich bekennt sich zu einem umfassenden Menschenrechtsschutz als fester und integraler Bestandteil der österreichischen Außenpolitik

Andererseits die reale Politik (im Abkommen enthalten oder dadurch wirksam, weil sie aus dem Regierungsabkommen ausgeklammert sind:
+ Initiativen für eine internationale Positionierung der EU als starke Akteurin
+ Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung auf europäischer Ebene
+ Österreich setzt sich für die Annahme von Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit in zusätzlichen Bereichen (z.B. Außenpolitik)
+ Damit bleiben auch alle militärpolitischen Kooperationen im Rahmen der NATO-Partnerschaft für den Frieden oder der EU aufrecht.
+ Rasche Stärkung von FRONTEX und enge Kooperation mit Transit- und Herkunftsländern sowie Partnern wie UNHCR.
+ Keine Unterzeichnung des EU-Migrationspaktes
+ Opposition gegen die Wiederaufnahme der Seenotrettung

Bekenntnis zur Abrüstungspolitik:
Aktiver Einsatz für die internationale Abrüstung und Einsatz für eine Welt ohne Atomwaffen – die Bundesregierung tritt weiterhin für ein globales Verbot von Atomwaffen ein und appelliert an alle Staaten, den Nuklearwaffenverbotsvertrag zu ratifizieren; Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrollen sind fortzusetzen.
Aber inkonsequent:
Keine Erwähnung der durch die Kündigung des INF-Vertrags drohenden Gefahr eines nuklearen Wettrüstens mit Mittelstreckenwaffen, dessen Schauplatz Europa wäre.
Die Friedensbewegungen könnten jedenfalls anknüpfend an dieses Bekenntnis zur Abrüstung verlangen, dass sich die österreichische Regierung für eine atomwaffenfreie Zone in Europa einsetzt.
Israel/Palästina
Positiv ist das Bekenntnis zum Kampf gegen den Antisemitismus, zum Existenzrecht Israels, in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen in Frieden neben einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat leben. Österreich wird sich weiterhin für nachhaltige Friedenslösungen im Nahen Osten einsetzen, im Falle des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung.

Das stählerne Korsett des Neoliberalismus

„Die Bundesregierung bekennt sich zu dem wirtschaftspolitischen Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushalts, abhängig von konjunkturellen Entwicklungen und Erfordernissen. • Die Bundesregierung bekennt sich zu dem wirtschaftspolitischen Ziel, die Schuldenquote der Republik weiter in Richtung Maastricht-Ziel von 60% zu senken.“
Wenige Tage nach der Präsentation des Regierungsprogramms stellte die für die Europapolitik zuständige Kanzleramtsministerin Karin Edtstadler fest, dass die Regierung nicht beabsichtige, mehr als 1% zum EU-Budget beizutragen. Auch in diesem Punkt bewegt man sich entlang der von Türkis-Blau vorgezeichneten Linie. (https://www.derstandard.at/story/2000113084690/edtstadler-will-mehr-europa-aber-nicht-mehr-einzahlen)
Die EU-Kommission gibt an, dass dazu in den kommenden zehn Jahren 2,8 % des Bruttoinlandsprodukts aufgewendet werden müssen. Das erfordert einen Investitionsaufwand von jährlich 170 – 290 Milliarden über die schon vorgesehenen Maßnahmen hinaus. (Europäische Kommission (2019): “Unser Ziel: Klimaneutral bis 2050“, file:///C:/Users/Baier/Documents/Pictures/ML0419339DEN.de.pdf )
Woher sollen also die Mittel für die für eine ökologische Transformation notwendigen Investitionen kommen, wenn den Mitgliedsstaaten die strikte Einhaltung der Sparpolitik angeordnet wird und auch das EU-Budget beim derzeit geringen Niveau verbleibt.
Das im Regierungsabkommen angekündigte „konsequente Eintreten für die ausreichende Finanzierung von Maßnahmen gegen die Klimakrise im EU-Budgetrahmen bis 2027“ läuft auf das Allheilmittel hinaus:
+ Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für die Mobilisierung von privatem Kapital zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen, insbesondere im Bereich Klimaschutz und Energie

Der Geist der Deregulierung, der Abschaffung von Normen, insbesondere solcher, die die Kapitalmarktfreiheit einschränken, finden sich über das gesamte Dokument verstreut und geben so den zuständigen Ministerinnen die Legitimation im Rat der EU die Positionen der neoliberalen Hardliner zu vertreten.

Walter Baier

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