Archiv - Hier gehts zur neuen transform.or.at Website

Verzeichnis  :  Impressum  :  Kontakt  :  Werttheorie  :  Links  :  Erweiterte Suche  
transform!at verein zur förderung linker diskurse und politik
   

Hände weg von Venezuela

Mein langjähriger Freund berichtet diesmal aus Kolumbien. Die Lage ist sehr ernst



Der britische Multimillionär Richard Branson organisierte für gestern ein Megakonzert bei Cúcuta (Kolumbien), nur 200m von der Grenze weg. Millionäre sind mir immer verdächtig, aber dieses Konzert verdient einen kurzen Kommentar.
Bestens geplant, die angekündigte Dauer war von 6am bis 6pm und um 18:10 endete das Konzert mit Imagine, gesungen von Fonseca. Neben ihm stand Branson, ein alter Mann im Hippylook und wirrem Haar, man sah ihm an dass er überglücklich war, er sang mit.
32 Gruppen präsentierten sich, lauter berühmte Namen. Der Zugang war frei, aber kontrolliert, 317 000 Besucher wurden gezählt. Cúcuta hat 1 Million Einwohner, aber die Leute kamen stundenlang angereist, viele aus Venezuela über die grüne Grenze. So ein unglaubliches Konert werden die meisten kaum je wieder erleben, auch nicht gegen Bezahlung. Denn diese Künstler bringt man nie wieder zusammen. Wie das möglich wurde verstehe ich nicht. In meinem Kabelfernsehen wurde das Konzert vollständig gleich in fünf Kanälen übertragen.
Vier Präsidenten trafen sich in Cúcuta zur Übergabe der internationalen Hilfe und zum Konzert. Chile, Paraguay, Kolumbien, alle von Rechtsaussen, und Guaidó über dessen Ideologie man noch nicht allzuviel weiss. Als sich das Gerücht über das Eintreffen von Guaidó ausbreitete jubelte natürlich das Publikum, aber ansonsten waren diese Präsidenten scheints einfach nicht eingeladen. Kein Sessel, kein Auftreten vor dem Publikum. Im Stehen abseits eine Pressekonferenz, kaum beachtet, da alle Medien ja das Konzert übertrugen. Ich erwartete zumindest eine kurze Unterbrechung, sie kam nicht, beachtlich. Branson vermied diese Propaganda.
Die mexikanische Gruppe Maná betonte ihr Anliegen sei nicht politisch sondern sozial und humanitär (das ist ohnehin bekannt), andere Teilnehmer brachten in ihrem Vorwort Argumente gegen Maduro, aber Branson schien alles unter Kontrolle zu haben, das hat mich beeindruckt. Wie das Publikum stundenlang bei der Hitze aushält verstehe ich nicht.

Maduro organisiete auf der anderen Seite der Grenze ein Gegenkonzert, drei Tage dauert es, er will Branson übertrumpfen, aber er konnte keinen bekannten Sänger auftreiben, alle lehnten ab. Und trotz versprochener Lebensmittelpakete blieb das Publikum aus.

Die Solidarität der Kolumbianer mit den Flüchtlingen ist beachtlich, trotz einiger Zwischenfälle (etwa: ein älteres Ehepaar gab zwei Venezolanern Arbeit um ihnen zu helfen – und wurde von ihnen ermordet; Kolumbianer verlieren ihre Arbeit, die ein Venezolaner übernimmt der weniger bezahlt bekommt). Im Transmilenio (Bussystem) sieht man einen Venezolaner nach dem anderen, sie bieten Naschereien an oder singen irgendetwas vor. Jeder hier kennt die Problematik aus der Nähe. Vorgestern sah ich im Transmilenio eine venezolanische Frau mit ihrem Sohn betteln, er war so schlank und gross wie mein Enkel Joaquín und sah ihm nicht unähnlich. Joaquín überlebt mit der Familie bescheiden in Uruguay, aber auch sie mussten vieles hinterlassen (kein Computer mehr, kein Fernseher, kein Auto, kein eigenes Haus etc. Allerdings eine gute Schulausbildung!).

Guaidó hat ein Ausreiseverbot, aber die Medien übertrugen wie er über die Grenzbrücke gerannt kam und nachher im Hubschrauber zum Konzert flog. Er wurde aufgehalten, konnte aber dann ohne Behinderung durch die Guardia Nacional (Militärs) bis zur Brücke kommen (das bedeutet wohl eine Befehlsverweigerung).

Heute sollen Hilfspakete über die Grenze gebracht werden, mit venezolanischen LKWs und venezolanischen Chauffeuren wird versprochen. Aus Kolumbien gibt es 17 Grenzübergänge, aus Brasilien nur einen bei Santa Elena de Uairén. Was wirklich passieren wird, müssen wir erst abwarten.
Natürlich kann diese Hilfe nicht die Probleme lösen, sie ist ein Tropfen auf den heissen Stein, eine gigantische Propagandaaktion. Aber Maduro tut tolpatschig alles was er nur kann um sie noch wirksamer zu machen. Trotz der dramatischen Situation im Land wird seit Jahren jede Hilfe, etwa von der UNO oder Caritas, abgelehnt weil das ja demütigend wäre. Und für heute hat Maduro trotzig versprochen Hilfe an die Armen von Cúcuta zu verteilen. In Venezuela lebt man ja gut, was man so hört ist alles Medienpropaganda. Damit steigt nur die magische Popularität der Hilfe. Diese Woche sah ich ein Interview von Maduro in EuroNews, offensichtich abgesprochene Fragen. In den Schulen bekommen alle Frühstück, Mitagessen und Jause (vor Jahren war es wirklich so!), die Schülerzahl sei landesweit angestiegen, das Gesundheitssystem und die Spitäler funktionieren fantastisch, Gesetzesverbrecher bekämen seriöse Prozesse vor Gericht (das bezieht sich auf die Opposition) etc. Alles brutal gelogen, Fakten dazu habe ich schon reichlich früher zitiert. Mit Lügen sollte man zumindest so vorsichtig sein dass sie zumindest einem gutgesinnten Zuhörer glaubwürdig erscheinen.

In Venezuela kann sich kein Sender erlauben so ein Konzert aus Cúcuta zu übertragen, aber im Kabel- und Satellitenfernsehen konnte man es in mehreren Sendern sehen, etwa in Antena3 aus Spanien. All diese Übertragungen, mit hoher Einschaltzahl wegen der berühmten Gruppen, wurden von der Regierung Maduro blockiert. Und ietzt wird Antena3 sicher in Europa die Falschmeldung verbreiten dass es im revolutionären Venezuela keine Medienfreiheit gäbe.
Die Opposition forderte Freiwillige auf, sich für die Mitarbeit bei der Verteiliung der Hilfe über eine Internetseite zu melden. Die staatliche Firma CANTV hat diese Seite gehackt und die Information umgeleitet. Die Regierung weiss somit wer sich gemeldet hat – da werden halt einige ihren Arbeitssplatz im öffentlichen Dienst verlieren.

Die Grenzübergänge werden von Maduro barrikadiert, Container wurden quergestellt und blockieren die Zugänge, bei Cúcuta wurden die Container sogar an die Brücke geschweisst un die Hilfe zu blockieren. Auch Fotos dieser lächerlichen und verzweifelten Massnahme gehen um die Welt, die bedeutet dass sich Maduro nicht mehr auf seine Militärs verlassen kann.

An der Grenze zu Brasilien ereignete sich ein beachtlicher Zwischenfall.
Zur Grenze fährt man durch den Nationalpark Gran Sabana, in der nur Indios wohnen dürfen. Für sie gelten spezielle Bestimmungen, und nach den dürftigen Berichten haben sie auch eine Art eigene Polizei. Chávez hat während seiner ersten Jahre vieles getan um die Rechte der indigenen Bevölkerung zu garantieren und ihre Situation zu verbessern. Aber sie wurde in letzter Zeit weitgehend vernachlässigt.
Die Grenzstadt Santa Elena gehört nicht zur Gran Sabana und hat die übliche venezolanische Bevölkerung.
Gestern kam am Flughafen von Santa Elena ein General der Guardia Nacional mit seiner Truppe angeflogen um die Grenze zu blockieren.
Die indigene Polizei tauchte auf, untertstützt von zivilen Demonstranten, um zu verhindern dass die Guardia Nacional den Flughafen verlässt. Die Guardia Nacional setzte Tränengas ein und begann zu schiessen. Es gab mehrere Verletzte und zwei Tote. Da das Spital in Santa Elena ohne Mittel dasteht wurden die Verletzten ins brasilianische Grenzdorf (Paraguamaima oder so) zur Verarztung gebracht,
Ja, und der General wurde von den Indios entführt, so berichten die Medien weltweit, auch der Standard. Natürlich, ein jeder kennt inzwischen den Namern dieses Generals. Das wäre wohl nur möglich wenn der Rest der Guardias zuschaut.

DIE USA BEDROHEN VENEZOLANISCHE GENERÄLE
Ja, die USA bedrohen venezolanische Generäle. Generäle sitzen hier allüberall an Machthebeln, in vielen Ministerien, kassieren beim Schmulggel mit, haben eine eigene Firma mit Schürfrechten etc., Maduro glaubte sie mit Privilegien kaufen zu können.
Ganz allgemein, ein revolutionärer Führer der etwas auf sich hält lässt seine Sprösslinge im Norden oder sonstwo im Ausland studieren, hat sich ein Nest im Norden gebaut und oft wohnt die ganze Familie im offiziell verhassten Norden.
Und jetzt bedrohen die USA Generäle welche die Hilfsaktion boykottieren: so ihre Familie in den USA wohnt kommt sie auf die schwarze Liste und verliert das Visum. So eine brutale Strafe!
Gestern wollte ein hoher Militär einen LKW konfiszieren um eine Strasse zu blockieren. Sein Name machte sofort die Runde.
Beschwerden gegen eine anonyme Behörde prallen ab, man muss sie personifizieren, das tut weh und löst eine Reaktion aus, das habe ich schon lange entdeckt. Einmal veröffentlichte ich eine bezahlte Kleinanzeige auf der billigsten Seite von El Nacional, eine Beschwerde mit Namen und Ausweisnummer eines Funktionärs im Unterrichtsdministerium. Irgendjemand in der Zeitung fand das so lustig dass er sie auf der teuren ersten Seite veröffentlichte. Na wui!

Die venezolanischen Generäle denken zuerst an ihr eigenes Interesse, die Soldaten sind unterernährt, ja auch in den Kasernen gibt es die “dieta Maduro” welche schlank macht. Somit hoffe ich nur das Gerede von einer Invasion sei Teil des psychologischen Kriegen. Sie ist nicht notwendig und fast alle lateinamerikanischen Länder sind dagegen. Eventuelle Ausnahmen: Brasilien und Kolumbien. Duque in Kolumbien wurde nach allgemeiner Meinung ja mehr oder weniger als sympathische Marionette aufgestellt, andere haben die Absicht ihn zu kontrollierrn.

Ich kann mir nicht vorstellen was heute passieren wird, bei der “Übergabe” der ersten Hilfspakete. Maduro hat nicht nur die Brücken, sondern auch den Wasser- und Luftweg in die Karibik gesperrt!

Bogotá, 23.2.2019

Weiterführende Links

Trackback

Trackback-URL für diesen Eintrag: http://transform.or.at/news/trackback.php/20190225084539213

Keine Trackback-Kommentare für diesen Eintrag.
Hände weg von Venezuela | 0 Kommentar(e) | Neuen Account anlegen
Die folgenden Kommentare geben Meinungen von Lesern wieder und entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung der Betreiber dieser Site. Die Betreiber behalten sich die Löschung von Kommentaren vor.