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Die Dreifachkatastrophe in Japan


von Peter Fleissner

Wer es bis jetzt noch nicht glauben wollte: nun schreit es von den Fernsehschirmen und schockt uns von den Titelseiten der Tageszeitungen: Buchstäblich läuten nun in Japan die Totenglocken für eine Produktionsweise, die an ihr Ende kommt, weil sie Menschen und Natur ausbeutet, beraubt, erniedrigt und schließlich sogar ermordet. In der Stunde der Trauer mit den Hinterbliebenen und bei aller Bewunderung für die Helden, die in Atomkraftwerken weiter die Stellung halten, ist es aber auch unsere Pflicht, kühlen Kopf zu bewahren und nicht der veröffentlichten Meinung zu trauen:

• Nicht den beschwichtigenden Worten der Atomlobby oder den beruhigenden Worten von EU-Kommissaren, die von den Hintergründen der Katastrophe ablenken wollen und einen einheitlichen Stresstest für Atomkraftwerke vorschlagen. Erinnern wir uns: War nicht ein derartiger Stresstest in Tschernobyl der Anlass für den Reaktorunfall, als eine Havarie (totaler Stromausfall) simuliert werden sollte? Auch sind - ähnlich wie bei den Banken - gute Testergebnisse keine Garantie für ein reibungsloses Funktionieren, wenn die Rahmenbedingungen zusammenbrechen, wenn also ein sogenanntes systemisches Risiko auftritt. Ein Stresstest ist nur dann aussagekräftig, wenn die übrige Infrastruktur problemlos weiterarbeitet. Was soll ein Stresstest, wenn ein Atomreaktor gezielt mit Raketen beschossen wird, wenn die Zufuhr elektrischer Energie ausfällt, wenn ein Jahrtausenderdbeben auftritt? Hat nicht die Atomlobby seit Jahrzehnten von der sauberen und sicheren Kernenergie gesprochen und die Mehrheit der EU-Länder auf die Nukleartechnologie eingeschworen?
• Nicht den Sirenentönen der Investmentgesellschaften, die einen neuen Aufschwung für Bau-Aktien in Japan erwarten. Schließlich startet ja bald ein gigantisches Wiederaufbauprogramm, wo sich japanische und ausländische Baufirmen goldene Nasen verdienen können. Ähnliches gilt für Umweltreparaturunternehmen, die aus Tod, Verwüstung und menschlichem Leid Gewinn schlagen. Lassen Sie sich nicht dadurch beruhigen, dass die wenigen Reichen durch Spekulation auf den Ölpreis zum vorhandenen Vermögen weitere Supergewinne einfahren werden. Er wird in diesen Zeiten mit großer Wahrscheinlichkeit nach oben wandern, bis – ja, bis es kein Öl mehr gibt.
• Vertrauen sie nicht auf das, was die Überschriften mit dicken Lettern verkünden, sondern versuchen Sie lieber Abstand zu gewinnen, eine Nachdenkpause einzulegen und sich Eins und Eins zusammenzuzählen. Nehmen Sie lieber Immanuel Kant ernst, der uns riet, mutig aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit auszubrechen (siehe Kasten).

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht aus Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. 'Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!' ist also der Wahlspruch der Aufklärung. … Daß der bei weitem größte Theil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften; so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen allein zu gehen.
Quelle: Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Berlinische Monatsschrift 1784

Herrschende Produktionsweise riskant…
Hat uns die Finanzkrise vor Augen geführt, dass im System des globalisierten Kapitalismus der Wurm sitzt, dass die Auswirkungen noch jahrelang spürbar sein werden, ja dass es zu einer Wiederholung der Krise kommen wird, wenn wir die neoliberale Reregulierung der Finanzmärkte nicht loswerden, so sehen wir an den kombinierten Erdbeben- und Kernkraftwerkskatastrophen in Japan, dass die herrschende Produktionsweise selbst äußerst riskant ist. Sie lässt sich nicht als nachhaltig charakterisieren, weil sie auf zwei Grundpfeilern aufbaut: Auf der Verwendung von Kernspaltungsprozessen und auf der vorwiegenden Nutzung von fossilen Rohstoffen (Erdöl und Erdgas) zur Energiegewinnung. Dabei war die Hoffnung groß, dass Einsteins Formel E = mc2, unbegrenzte Energie zu Verfügung stellen könnte. Die Formel besagt, dass Materie, die eine Masse besitzt, die wie wir als feste, flüssige oder gasförmige Stoffe kennen, nichts anderes ist als gefrorene Energie. Aber erst als die Versuche von Otto Hahn in Berlin, den Uranatomkern zu beschießen, von seiner früheren Kollegin, der Wienerin Lise Meitner, die als Jüdin Deutschland verlassen musste, richtig gedeutet wurden, ließ sich eine ungeheure neue Energiequelle erahnen. Lise Meitner fand heraus, dass die Massen der Spaltprodukte ein wenig kleiner waren als der ursprüngliche Kern. Die fehlende Masse wird bei der Kernspaltung in Energie verwandelt. Obwohl sie bei einzelnen Atomkernen sehr klein ist, erlangte sie mit einer Masse von wenigen Kilogramm in Hiroshima und Nagasaki eine schreckliche Wirkung und ihre traurige Berühmtheit.
Die Schwierigkeit bei der Gewinnung von Energie aus Kernspaltungen besteht darin, dass die Spaltprodukte radioaktiv sind, und dass sie zur langfristigen Quelle von Alpha-, Beta und Gammastrahlen werden. Manche von ihnen besitzen krankmachende oder tödliche Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Pflanzen. Diese Effekte sehen wir jetzt in Japan in einem katastrophalen Ausmaß, nachdem viele Spaltprodukte aus dem Reaktor entwichen sind. Diese Radioaktivität kann überdies das Erbgut verändern und genetische Schäden verursachen, wie schon an den Folgen der Atombombenabwürfe in Japan leidvoll beobachtet werden musste.
Die Wasserstoff-Explosionen, die in drei von sechs Reaktorblöcken des Atomkraftwerks *censored*ushima I aufgetreten sind und von zwei Blöcken die äußere Hülle weggesprengt haben, waren glücklicherweise keine kleinen Wasserstoffbomben, sondern „konventionelle“ Knallgasexplosionen, die durch Verbrennung von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser entstehen und sehr heftig sind. Woher der dazu nötige Wasserstoff kam, ist den Technikern interessanterweise unklar. Manche meinen, er kam aus der Hülle der Brennstäbe, die aus Zirkonium sind, das durch Oxidation dem vorhandenen Wasser den Sauerstoff entzogen hat und damit Wasserstoff freisetzte, andere sagen, er kam aus dem bei Temperaturen von über 4000 Grad in Sauerstoff und Wasserstoff zerfallenden Wasser. Das würde aber bedeuten, dass extrem hohe Temperaturen aufgetreten sind, bei denen das Reaktorgehäuse aus Stahl längst geschmolzen wäre. Der Schmelzpunkt von Stahl liegt bei rund 1500 Grad Celsius.
Bei der Kernverschmelzung hingegen, die der Wasserstoffbombe zugrunde liegt, verbinden sich je zwei Deuterium-Atome (ein Wasserstoff-Isotop) zu einem Heliumatom. Der Heliumkern ist aber leichter als zwei Deuteriumkerne. Die Massedifferenz wird wie bei der Kernspaltung in Energie verwandelt.

…auch im Sozialismus
Auch wenn viele von uns glaubten, dass die sozialistischen Länder sichere Kernkraftwerke bauen würden, da sie vom Kapitalismus frei waren, wurden wir bald eines Besseren belehrt. Eine wichtige und tragische Lernerfahrung war der Super-GAU von Tschernobyl im Jahr 1986. Wie wir verstehen mussten, machte der damalige Sozialismus Kernkraftwerke nicht weniger gefährlich, obwohl sie in einem Arbeiter- und Bauernstaat erzeugt und betrieben wurden. Das Unglück brachte Langzeitfolgen mit sich, die bis heute und in die kommenden Jahrzehnte hinein ihre schrecklichen Effekte zeigten und noch zeigen werden. Während die Zahl der Toten, die direkt der unmittelbaren Reaktorexplosion zugeordnet werden können, auf weniger als 100 geschätzt wird, lassen sich 16.000 zusätzliche Schilddrüsenkrebserkrankungen und 25.000 andere Krebserkrankungen als Folge der Strahlenbelastung errechnen. 16.000 Todesfälle davon geschahen bzw. geschehen noch auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion. Ein Gebiet von etwa 4.300 Quadratkilometern (dies entspricht der Fläche eines Kreises mit 74 km Durchmesser) ist langfristig unbewohnbar geworden. Nach der Evakuierung halten sich dort mittlerweile wieder Menschen auf, die berichteten, dass es seit ihrer Rückkehr unter ihnen viele Tote gegeben hatte.

Die Rolle der Wissenschaft
Man könnte sagen, die Schuld für die Katastrophen müssen wir den WissenschafterInnen und TechnikerInnen geben, die nicht genügend Sicherheitsvorkehrungen getroffen hätten. Dazu kann man sagen: Das Kernkraftwerk *censored*ushima I war technisch für ein Erdbeben der Stärke 8 ausgelegt. Kaum jemand hätte erwartet, dass ein Erdbeben der Stärke 9,5 auftreten würde – das stärkste Erdbeben in Japan seit Beginn der Aufzeichnungen.
In der Risikoforschung gibt es den Begriff „Restrisiko“. Dort liegt der Hase im Pfeffer, denn unter normalen Verhältnissen wird niemand annehmen, dass das Restrisiko schlagend wird. Aber dennoch kann eine solche außergewöhnliche Lage auftreten. Die Risikoforschung sagt weiterhin, das Restrisiko könne man auch verkleinern, aber je kleiner das Restrisiko durch bessere Sicherheitsmaßnahmen gemacht wird, desto stärker steigen die Kosten. Die hohen Kosten scheuen die EntscheidungsträgerInnen und Finanziers. Oft wird das Restrisiko in Wahrscheinlichkeiten gemessen. Aber auch wenn eine Wahrscheinlichkeit sehr klein wird, sagen wir, ein Milliardstel, so sagt das nicht aus, dass der schlimmste Fall nicht doch eintreten kann. Für den einmaligen Einzelfall ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung ungeeignet, außerdem bietet sie keine Aussage über das Wann des Auftretens eines Katastrophenereignisses. Ist die Zerstörungswirkung einer Technologie auf Mensch und Umwelt hoch, ist Vorsicht immer die Mutter der Porzellankiste. Das Risiko, das die eingesetzten Technologien bei einem Versagen beinhalten, muss jeweils abgeschätzt werden. Dafür hat schon 1972 der U.S. Kongress das OTA (Office of Technology Assessment) eingerichtet, das zu den jeweils neuen Technologien ausgezeichnete Expertisen lieferte. Als das OTA aber eine ziemlich negative Einschätzung eines von den Republikanern vorgeschlagenen neuen Atomraketen-Abwehrsystems vornahm, bei dem die Abwehrraketen unterirdisch geparkt und – um den Gegner zu täuschen - in einem riesigen Tunnelsystem an andere Stellen verschoben werden konnten, fand es 1995 ein politisch motiviertes Ende.
Es ist erhellend, die Überlegungen von Friedrich Engels zur Rolle von Wissenschaft nachzulesen (siehe Kasten), die bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren haben. Er meint, dass die Menschen schon in der Antike und im Mittelalter Aktionen gesetzt haben, die unvorhergesehene Wirkungen hatten. Durch die Entwicklung der Wissenschaft besteht aber die Chance, dass sie in einem langwierigen Lernprozess aus ihren Fehlern lernen kann und sich als Partner, nicht als Gegner der Natur gebärdet. Dazu ein positives Beispiel für einen Lernprozess aus der neueren Wissenschaftsgeschichte: Jay Forrester, Systemforscher am M.I.T. und Mitglied des Club of Rome, hat diese unvorhergesehenen Wirkungen „kontraintuitives Verhalten“ von Systemen genannt. Seine Methode „System Dynamics“ kann im Prinzip solches Verhalten analysieren. Schon in den 1970er Jahren ist er als Warner vor Naturzerstörung aufgetreten. Seine Sicht hat sich in den Arbeiten des heute in Wien lebenden Dennis Meadows und seiner KollegInnen unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ niedergeschlagen, die weltweite Verbreitung erfuhr.

„Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirgs so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südabhang vernutzten, ahnten nicht, daß sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, daß sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahrs das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wußten nicht, daß sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.
„Hat es aber schon die Arbeit von Jahrtausenden erfordert, bis wir einigermaßen lernten, die entferntern natürlichen Wirkungen unsrer auf die Produktion gerichteten Handlungen zu berechnen, so war dies noch weit schwieriger in bezug auf die entfernteren gesellschaftlichen Wirkungen dieser Handlungen. …
Aber auch auf diesem Gebiet lernen wir allmählich, durch lange, oft harte Erfahrung und durch Zusammenstellung und Untersuchung des geschichtlichen Stoffs, uns über die mittelbaren, entfernteren gesellschaftlichen Wirkungen unsrer produktiven Tätigkeit Klarheit zu verschaffen, und damit wird uns die Möglichkeit gegeben, auch diese Wirkungen zu beherrschen und zu regeln. Um diese Regelung aber durchzuführen, dazu gehört mehr als die bloße Erkenntnis. Dazu gehört eine vollständige Umwälzung unsrer bisherigen Produktionsweise und mit ihr unsrer jetzigen gesamten gesellschaftlichen Ordnung.“

Quelle: Friedrich Engels, Dialektik der Natur (Anteil der Arbeit bei der Menschwerdung des Affen), MEW 20, Dietz Berlin 1978 S. 452/4, geschrieben 1876

Engels Einschätzung macht einen deutlichen Unterschied zwischen der Schwierigkeit, die entfernteren natürlichen Wirkungen unserer auf die Produktion bezogenen Handlungen vorherzusagen, und der Problematik, die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Handlungen nicht nur zu prognostizieren, sondern auch zu vermeiden. Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass die Sozialwissenschaft im Kapitalismus nach wie vor ziemlich blind ist für Fragestellungen, die jenseits des Interessenshorizonts der Herrschenden liegen. Erstens hat kaum jemand der tausenden ÖkonomInnen die Finanzkrise in ihrem vollen Umfang vorhergesehen, und zweitens macht sich niemand stark, die wahren Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Wie so oft müssen die SteuerzahlerInnen für die Begleichung der Schulden herhalten. Drittens: Die unter dem Schock der Kurseinbrüche versprochenen strukturellen Änderungen der Rahmenbedingungen des Bankensystems sind heute beinahe wieder in Vergessenheit geraten. Und so bleibt alles beim Alten.

Auswege in die Zukunft
Engels‘ Schlussfolgerung nach gesellschaftlicher Veränderung kann man nur zustimmen, das allgemeine und langfristige Ziel ist klar. Die offene Millionenfrage ist aber, wie diese Veränderung unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts vor sich gehen soll. Welche Schritte zu diesem Ziel führen werden? Wie die Details des Prozesses aussehen sollen? Welche gesellschaftlichen Subjekte dabei wichtig sind? Kurzum: Wie wird uns „das Einfache, das schwer zu machen ist“ (Brecht) gelingen?

Eine neue Produktionsweise…
Meine persönliche Meinung ist, dass ein langer und steiniger Weg vor uns liegt. Wir haben keine andere Wahl als dort anzufangen, wo jede und jeder von uns derzeit steht. Es wird keine Wunder geben. Alles muss von uns selbst erarbeitet und getan werden. Es geht uns so, wie der beeindruckende Philosoph und Psychoanalytiker Slavoy Zizek mit einem Buchtitel zum Ausdruck bringt: Wir stehen „Auf verlorenem Posten“. Wie das kleine Büchlein „Empört Euch“ des betagten französischen Resistance-Mitglieds und Diplomaten Stéphane Hessel sagt, bedarf es sogar eines bisher nicht genügend vorhandenen Gefühlszustands, nämlich der Empörung, als wichtiger Voraussetzung. Hessel ruft zur Entrüstung über die herrschenden Verhältnisse und zum Widerstand auf.
Erst wenn die Entrüstung in der Lage ist, die Schönfärbereien und Ablenkungsmanöver der Massenmedien zu durchdringen, wird Bewegung entstehen können. Und dass es nicht unmöglich ist, Bewegung zu erzeugen, zeigt uns das Beispiel Zwentendorf. Die Aktionen relativ weniger Menschen haben es geschafft, ein fertig gebautes Kernkraftwerk stillzulegen und ließen den Ausstieg aus der Kernenergie Wirklichkeit werden. Wie wir heute klar sehen können, ist die Zivilgesellschaft dabei äußerst verantwortungsbewusst vorgegangen, trotz gewaltbereiten Schlägern aus SP-geführten Gewerkschaftskreisen. Ist nicht Kreisky, der Sonnenkönig, - Ironie der Geschichte - an einem Sonnensymbol gescheitert?
Heute ist die Problematik noch komplexer geworden. Ein Ausstieg für Österreich alleine ist nicht hinreichend. Auch hierzulande bestehen 6 Prozent der elektrischen Energie aus Atomstrom, der außerhalb unserer Landesgrenzen erzeugt wird. Sind in unsere Empörung über Atomkraftwerke damit nicht 6 Prozent Heuchelei gemischt? Um diesen Stromimport zu vermeiden, müssten alle Energielieferanten in der EU auf Atomstrom verzichten. Aber werden Frankreich und Deutschland mit der mächtigen Atomlobby im Rücken tatsächlich dazu bereit sein? Welche Energien werden die Kernkraft ersetzen? Und hier stellt sich ein neues Problem: Langfristig können wir nicht mehr auf fossile Brennstoffe als Ersatz hoffen. Die weltweite Erdölförderung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits jetzt rückläufig. Es bleiben nur die erneuerbaren Energieformen: Nutzung aller Formen von Energie, die von der Sonne abhängen, Sonnenkollektoren, Fotovoltaik, Windkraft, Wasserkraft, Biosprit und Biogas, Gezeiten, vielleicht zusätzlich noch Erdwärme. Und nach wie vor die Steigerung der Energieeffizienz und Energiesparen. Angeblich könnte rund die Hälfte des Energieverbrauchs in Österreich eingespart werden, ohne auf irgendwelche Annehmlichkeiten verzichten zu müssen. Dies lässt sich leicht aussprechen, aber damit sind große Investitionen in die Infrastruktur verbunden. Die Wärmedämmung der Häuser muss verbessert werden, Um einen Umstieg auf eMobilität zu ermöglichen, muss der ganze Autopark, das Tankstellennetz, das Stromnetz und die Reparaturwerkstätten umgerüstet werden. Man wird auch gut daran tun, öffentliche Transport- und Verkehrssysteme verstärkt und preisgünstig zur Verfügung zu stellen.
Der Übergang zu erneuerbaren Energien ist aber nicht nur eine technische Frage, sondern eine eminent politische. Werden die neuen Institutionen, die den Übergang durchführen, nach demokratischen Gesichtspunkten arbeiten? Wird es gemeinwohlorientierte Banken geben, die Infrastrukturprojekte auf lokaler Ebene finanzieren können? Werden die Menschen in dieser neuen Produktionsweise vor Verarmung geschützt sein? Werden die neuen Funktionäre echte Vertreter der Interessen der unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen sein oder wird für sie nur der blanke Eigennutz gelten? Und dies nicht nur für Manager und UnternehmerInnen, sondern auch für politische Entscheidungsträger.

… und eine neue Lebensweise
Und schließlich sind wir auf der persönlichen Ebene gefordert: Wir werden unseren Lebensstil ändern müssen. Wir werden fossile Energien in allen Formen einsparen müssen, wenn nicht freiwillig, dann unter Zwang. Werden wir auf den PKW verzichten? Werden wir unsere Ernährung anpassen? Werden wir vorwiegend vegetarisch essen? Werden wir Fernreisen vermeiden? Alle damit verbundenen Entscheidungen zur Herausbildung eines ökologisch verträglicheren und nachhaltigen Lebensstils müssen auf einer breiten Basis diskutiert und in demokratischen Gremien entschieden werden. Für ein „Gutes Leben“ haben wir noch viel zu tun!

Text abgedruckt in der Volksstimme

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